"Kein ding sei wo das wort gebricht"
Martin Heideggers George-Interpretation
Hausarbeit für das Hauptseminar
"Stefan George"
im Sommersemester 1997
bei Prof. Pickerodt
an der Philipps-Universität Marburg
Geschrieben von Andreas Becker
Gefunden auf http://www.zeitrafferfilm.de
Kurze Anmerkung zu diesem Text
Diese Arbeit wurde in den Semesterferien zwischen Sommersemester 1997 und Wintersemester 1997/98 innerhalb von vier Wochen abgefasst. Entsprechend der Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit und der komplexen Thematik musste ich daher an einigen Stellen vereinfachen. Gerade bei der Kritik an Heideggers Interpretation würde ich heute sorgfältiger arbeiten, seine Sprache intensiver analysieren, einige Argumente müsste man sich nochmal genauer anschauen. Dennoch hoffe ich, dass die Arbeit immer noch einen Einstieg in die Problematik und auch in Heideggers Spätphilosophie bietet. Für Anregungen, Hinweise, Korrekturen bin ich dankbar und nehme sie gerne in die Arbeit mit auf.
Andreas Becker, Frankfurt am Main, 23.10.2002
E-Mail: beckerx@gmx.de,
Inhalt
1. EINLEITUNG
2. HEIDEGGERS POSITION AUS 'SEIN UND ZEIT'
3. SPRECHER UND ENTSPRECHER: PARALLELEN ZWISCHEN HEIDEGGER UND GEORGE
4. DER WEG ZUM GEDICHT ALS WEG ZUR SPRACHE
5. DIE VERMITTLUNG VON PHILOSOPHIE UND POESIE
6. MÖGLICHKEITEN ZUR WEITEREN DEUTUNG
6.1 DIE NORNE, DIE ZEIT UND DER TOD
6.2 DAS GEDICHT ALS LIED
7. KRITIK UND VERSUCH EINER EIGENEN DEUTUNG
7.1 HEIDEGGERS ANSATZ UND DIE WISSENSCHAFTLICHE LITERATUR
7.2 VERSUCH EINER ALTERNATIVEN INTERPRETATION
Der Mensch spricht, insofern er der Sprache entspricht. Das Entsprechen ist Hören. Es hört, insofern es dem Geheiß der Stille gehört. Nichts liegt daran, eine neue Ansicht über die Sprache vorzutragen. Alles beruht darin, das Wohnen im Sprechen der Sprache zu lernen.[1]
Ziel dieser Untersuchung ist es, herauszuarbeiten, was Martin Heidegger unter "Entsprechen" versteht und inwiefern er dem Dichter George entspricht, wenn er sein Gedicht "Das Wort"[2] auslegt. Hört Heidegger auf den Dichter George, interpretiert er den Text stimmig und nachvollziehbar? Oder nutzt er das Gedicht hauptsächlich, um eine Erfahrung mit der Sprache zu machen bzw. um die Genese einer Spracherfahrung darzustellen, ohne sich dabei um eine schlüssige und textnahe Deutung zu kümmern? Was also "Entsprechen" hier meint, soll am Beispiel seiner George-Interpretation geprüft werden. Dabei wurde der Schwerpunkt dieser Untersuchung auf Heideggers Auslegungspraxis und ihre Möglichkeiten gelegt. Der zweite Teil dieser Arbeit versucht, alternative Interpretationen zu entwickeln, um die Heideggersche Position kritisieren zu können.
2. Heideggers Position aus 'Sein und Zeit'
Wenn Martin Heidegger sich in seiner Spätphilosophie mit der Sprache beschäftigt, dann wiederholt er eine Frage, die er bereits in 'Sein und Zeit' aufwarf, dort allerdings nur unvollständig beantworten konnte. Das lag vor allem an dem Versuch, die Sprache als Existenzial innerhalb der Ontologie einreihen zu wollen und sie so der Selbstauslegung des Daseins, dem "Sinn von Sein"[3], unterzuordnen[4]. Heidegger hatte sich bei der Aufweisung der "Struktur der Existenz"[5] kaum darum gekümmert, wie sehr die gesamte Untersuchung erst von der Sprache her ihren Anfang nahm, das heißt, inwiefern jedes Verstehen von Sein ein sprachlich vermittelt ist. Das führte ihn zu dem paradoxen Schluß, daß die eigentliche (d.h. die Existenz des Daseins betreffende) Sprache das Hören und das Schweigen ist[6]:
Das Hören ist für das Reden konstitutiv. Und wie die sprachliche Verlautbarung in der Rede gründet, so das akustische Vernehmen im Hören. Das hören auf ... ist das existenziale Offensein des Daseins als Mitsein für den Anderen.
Das selbe existenziale Fundament hat eine andere wesenhafte Möglichkeit des Redens, das Schweigen[7]. Dieser Schluß bedeutete einen Bruch in der Argumentation, da diese Mitteillung bereits Gefahr läuft, eine uneigentliche zu sein und sich so in den Bereich des Man zu verlieren, was Heidegger das "Gerede" nannte. Schließlich schwieg Heidegger selbst nicht, sondern veröffentlichte das Buch.
Seine Ausführungen gipfeln in programmatischen Fragen, von denen die erste ist: "Am Ende muß sich die philosophische Forschung einmal entschließen zu fragen, welche Seinsart der Sprache überhaupt zukommt." (SuZ, S. 166). Schaut man sich nun die Interpretationen von Hölderlin-, Trakl-, Rilke- und George-Gedichten an, dann fällt auf, daß diese nicht nur die Funktion haben, die Philosophie in neue Gebiete voranzutreiben, sondern auch die bisherigen in SuZ dargelegten zu sichern und vor allem, die gezeigte Paradoxie aufzulösen. Gerade deshalb benutzt Heidegger nur noch selten das Wort Verstehen, denn es ist bereits für die sprachliche Beschreibung der Existenz verwandt worden. Fortan verwendet er vor allem 'Entsprechen', obwohl das Ziel wiederum ein Durchsichtigmachen von Sprache ist. Heidegger als Philosoph hört fortan lediglich das, was die Dichter ihm zugesprochen haben.
3. Sprecher und Entsprecher: Parallelen zwischen Heidegger und George
Diese Aufeinanderbezogenheit von Dichtern und Denkern ist eine Argumentationsfigur, die sich in Heideggers Spätphilosophie oft findet, auf die er allerdings im Vergleich zu anderen Aspekten nur wenig eingeht. Das verwundert nicht, denn diese Lösung ist zwar philosophisch korrekt, Heidegger muß ja nur die Bedingung der Möglichkeit seines Ansatzes aufzeigen, literaturwissenschaftlich stellt sie aber eine Engführung des Dichterischen auf die Zwecke Heideggers dar. Anders ausgedrückt: Bevor Heidegger den Dichtern entspricht, legt er fest, wem er entsprechen will[8]! Er 'definiert' den Künstler nicht als jemanden, der über einen Gegenstand reflektiert und dann seine Gedanken und Phantasien ausdrückt, sondern als jemanden, der es vermag, den "Anspruch je und je reiner zu hören"[9]. Der Künstler wird nicht aktiv oder gesellschaftskritisch gedacht[10], sondern ist vielmehr ein Dasein, das sich bereithält, eine Botschaft zu empfangen. Die Dichtung ist ein in sich gekehrtes, fast schon meditatives und weltabgeschiedenes Hören[11]:
Dichten heißt: nach-sagen, nämlich den zugesprochenen Wohllaut des Geistes der Abgeschiedenheit. Dichten ist, bevor es ein Sagen im Sinne eines Aussprechens wird, seine längste Zeit erst ein Hören.
Boehringer, Mitglied im George-Kreis, hat dazu eine ähnliche Meinung wie Heidegger[12]: "Hören oder Zuhören ist die früheste Art der Aufnahme des gesprochenen Wortes, auch dessen, das nicht der Nützlichkeit dient."
Der Dichter tritt nach Heidegger hinter seinem Werk zurück[13], indem er mit ihm Geschichte stiftet. Schließlich ist die Welt, aus der das Werk stammt, unwiederbringlich vergangen, dabei ist sie das eigentlich Geschichtliche (SuZ, S. 380). Das Gedicht, die Texte und Kunstwerke selbst sind sozusagen der einzig verfügbare aktuelle Rest, von dem wir nur wissen, daß er aus dieser Welt herstammt. Damit diese Geschichtsstiftung erfolgreich ist, bedarf es eines erneuten Zugangs zu diesem Werk und damit zur geschichtlichen Welt. Dieser besteht nach Heidegger keineswegs darin, historisch korrekte Aussagen zu machen, sondern es geht darum, immer wieder erneute Zugangsmöglichkeiten und Perspektiven zu eröffnen, um die Gedanken erneut zu durchdenken. Heidegger schreibt[14]: "So wenig ein Werk sein kann, ohne geschaffen zu sein, so wesentlich es die Schaffenden braucht, so wenig kann das Geschaffene selbst ohne die Bewahrenden seiend werden." Bei Pöggeler heißt es dazu[15]:"Das Denken, das dem Gedächtnis zugehört, ist nicht etwas >>Theoretisches<<, von der Praxis abgesondertes, sondern die ursprüngliche Weise, Wahrheit zu verwahren und Welt zu bewohnen."
Heidegger setzt Dichter und Denker in Bezug zueinander, denn auch der Dichter kann nur aufgrund von Bewahrtem dichten. Sie sind wie zwei Parallelen nur jeweils aneinander zu bestimmen[16], jedes 'echte' Dichten ist Denken und umgekehrt. Dabei macht der Dichter zwar eine Erfahrung in und mit der Sprache, er merkt aber nicht, inwiefern er dabei gedacht hat, bzw. sein Zugang ist bewußt kein denkender. Der Denker hingegen glaubt, etwas durch die Sprache zu erörtern, weiß aber genausowenig, inwiefern er überhaupt erst von der Sprache angeleitet wird. Und gerade um diese Vermittlung zwischen Dichten und Denken geht es Heidegger, womit natürlich die Auffassung von SuZ gerettet ist, denn der Denker läßt sich "das Denkwürdige sagen"[17]. Wenn Heidegger so auf diesen zwei Denkmomenten insistiert, dann nicht zuletzt deshalb, weil seine Untersuchung selbst zeigen soll, wie ein Denker sowohl zur Sprache als auch zur Dichtung wichtiges beitragen kann, indem er auf letztere hört.
Wiederum ist die Ähnlichkeit zur Georgeschen Auffassung frappierend. Edith Landmann berichtet in ihrem Buch über folgende Bemerkung Georges zur Philosophie[18]: "Das habe schon seine tiefe Bewandtnis, dass er so eine Abneigung gegen die Philosophie habe. >>Und dabei tut man doch in seiner Weise auch nichts anderes als philosophieren.>>" Schaut man auf das Umfeld, die Ansichten und Grundprämissen, dann ist die Ähnlichkeit zwischen Heidegger und George so groß, daß ein Entsprechen wohl kaum eine größere Korrektur von Heideggers Position bedeutete. Bezeichnet der Philosoph zeitkritische Dichter als "Berichterstatter des Aktuellen"[19], was schon nahelegt, daß sie prinzipiell Opfer ihrer eigenen Anschauung werden, so findet sich diese Ansicht fast wortwörtlich im Georgekreis wieder, der in den "Blättern für die Kunst" gegen die Prosa-Schriftsteller des Naturalismus wettert[20]:
Man verwechselt heute kunst (literatur) mit berichterstatterei (reportage) zu welch lezter gattung die meisten unrer erzählungen (sogen. romane) gehören. ein gewisser zeitgeschichtlicher wert bleibt ihnen immerhin obgleich er nicht dem der tagesblätter richtverhandlungen behördlichen zählungen u.ä. gleichkommt.
Georges Dictum "Von mir aus führt kein Weg zur Wissenschaft"[21] könnte von Heidegger stammen, der schreibt[22]: "Das in seinem Bezirk, dem der Gegenstände, zwingende Wissen der Wissenschaft hat die Dinge als Dinge schon vernichtet, längst bevor die Atombombe explodierte." Gleiches ließe sich bis in Details an der Auffassung von Öffentlichkeit[23], der Historie[24], dem Griechentum[25] und einigem mehr demonstrieren.
4. Der Weg zum Gedicht als Weg zur Sprache
Schon der Titel von Heideggers Essaysammlung "Unterwegs zur Sprache" zeigt, daß er an einer Lösung des 'Sprachproblems' im üblichen akademischen Sinne überhaupt kein Interesse hat. Der Weg zur Sprache ist sein eigentliches Ziel, wobei schon diese Verbindung äußerst ungewöhnlich ist und gegen die wissenschaftliche Methodik verstößt. Nicht nur daß die Wissenschaft doch normalerweise möglichst rasch und ohne Umwege zum Ziel kommen möchte, sie versucht auch, Metaphern zu vermeiden und durch Fachtermini zu ersetzen. Im Gegensatz dazu sucht Heidegger sozusagen 'zu Fuß' und ohne Hilfsmittel, die Frage neu zu stellen. Damit geht einher, daß er sämtliche Fachtermini und Stilbegriffe beiseite läßt und sie durch eigene Wortschöpfungen, die sich meist etymologisch ableiten, und Wörter der (deutschen) Alltagssprache ersetzt. Um Metrik, Metaphern, den zeitgeschichtlichen Kontext, wissenschaftliche Hilfsmittel wie Motivgeschichten kümmert er sich, zumindest vordergründig, nicht. Stattdessen spricht Heidegger "mit dem Gedicht"[26]. Er behandelt das Gedicht nicht wie einen Gegenstand, sondern versucht sich in es wie in eine fremde Welt hineinzudenken. Spricht George von einem Land, dann nimmt Heidegger das wörtlich. Und wenn der Dichter das Kleinod thematisiert, so stellt Heidegger eine Vielfalt von möglichen Deutungen vor, um einem Verständnis möglichst nahezukommen, ohne es jedoch ein einziges Mal als Metapher zu behandeln[27].
Vor allem in "Das Wesen der Sprache" revidiert Heidegger manche Denkwege, hält mit sich selbst Zwiesprache und vermittelt so, immer wiederholend, seine Generalthesis, daß die Sprache dem Ding erst ein Sein schenke, weil sie es ist, die das Ding Ding sein lasse. Die Sprache hat die 'Eigenschaft', sich selbst zu überschreiten, indem sie nahelegt, daß es jenseits ihrer ein Sein gebe, aber die Sprache ist "das Haus des Seins"[28]. Sie erst bestimmt das Verhältnis von Ding und Wort. Die Welt erscheint uns als selbstverständlich und unabhängig von ihr, was im Alltag zum Verstehen auch ausreicht, in der Dichtkunst kommen diese Feinheiten aber zum Vorschein.
Seine Vorgehensweise in den einzelnen Abhandlungen ist dabei immer ähnlich, jeweils wird ein Gedicht vorangestellt, um dann im Verlauf einer Erörterung Deutungsmöglichkeiten zu bieten. Der Anspruch Heideggers ist dabei groß, er möchte auf die Reflexion verzichten, da sie bereits voraussetzt, daß die Sprache sie ermöglicht[29]:
Das, wovon wir sprechen, die Sprache, ist uns stets schon voraus. Wir sprechen ihr ständig nur nach. So hängen wir fortwährend hinter dem zurück, was wir zuvor uns eingeholt haben müßten, um davon zu sprechen. Demnach bleiben wir, von der Sprache sprechend, in ein immerfort unzureichendes Sprechen verstrickt.
Gerade ein Fragen nach der 'Bedeutung' eines Gedichts ist schon falsch, da es eine Antwort, eine Feststellung erwartet, die der Sprache grundlegend fremd ist[30]. Wenn er davon spricht, daß das Ziel ist, vor eine Möglichkeit zu bringen, um "mit der Sprache eine Erfahrung zu machen"[31], dann meint dies eben keine geradlinige Argumentationskette, welche nach logisch aufgebautem Muster verfährt. Es geht eher um eine Erörterung, die einige Denkwege aufzeigt, welche sich allerdings auch manchmal als 'Holzwege' herausstellen können.
Im alltäglichen und im wissenschaftlichen Sprechen tritt die Sprache als Sprache in den Hintergrund. Es geht dort immer um Benennungen, Tatbestände und so fort[32]. Selbst die abstrakte Metasprache hat als Voraussetzung, daß jeder weiß, was denn Sprache überhaupt ist. Deshalb spricht der Philosoph von Erfahrungen. Der Ausgangspunkt von einem Verstehensprozeß ist für Heidegger das Mißverständnis, erst dadurch wird uns angezeigt, daß es etwas zu verstehen gibt[33]. "Vor die Möglichkeit bringen" ist demnach hermeneutisch zu verstehen, erst beim erneuten Lesen des Gedichts wird es aufgrund der gemachten Erfahrung zu einem Verständnis kommen. Dieses Verstehen ist nie absolut, es hat zum Ziel, ein Differenzierungsvermögen zu entwickeln. Wir können nicht über eine Erfahrung sprechen, sondern anderen Menschen nur ermöglichen, diese selber zu machen. Dabei ist diese Erfahrung selbst nicht sprachlich[34], deshalb ist Heideggers Sprachduktus so indirekt, er kann nur die Bedingungen dafür erzeugen, den Leser gleichsam anleiten.
Daß er gerade ein Gedicht nimmt, um das Wesen der Sprache zu klären, liegt daran, daß er den Dichter passiv denkt. Weil er nur empfängt und keine Absichten verfolgt, tritt die Sprache als Sprache nicht gegenüber einem Zweck in den Hintergrund, bei einem Gedicht handelt es sich um "rein Gesprochenes"[35]. Der Dichter geht bei Heidegger vollkommen in seinem sprachlichen Werk auf. Nicht er spricht, sondern die "Sprache spricht"(UzS, S. 12) durch ihn.
5. Die Vermittlung von Philosophie und Poesie
Heidegger hat Georges Gedicht in zwei Vorträgen interpretiert, deren Titel lautet "Das Wesen der Sprache" (UzS, S. 157-216) und "Das Wort" (UzS, S. 217-238). In beiden Fällen ist der Charakter des mündlichen Vortrages erhalten geblieben. Heidegger spricht von "wir", er benutzt nahezu emphatische Redewendungen und Steigerungen, um die Hörer an die überaus komplexen Vorträge zu fesseln. Beide Vorträge decken sich teilweise in ihrer Argumentationsstruktur, dennoch werde ich hauptsächlich auf "Das Wesen der Sprache" eingehen, diesen allerdings an entsprechender Stelle mit dem Essay "Das Wort" ergänzen.
Jeder der drei Vortragsteile behandelt das Gedicht aus einer anderen Perspektive, der erste will das 'Wesen der Sprache' ergründen, berücksichtigt also vor allem die dichterische Seite, er klärt Wortbedeutungen auf. Im zweiten Vortrag wird das Schwergewicht auf die denkerische Seite gelegt, hier handelt Heidegger das Seinsverständnis ab, erläutert die ersten Strophen des Gedichtes noch einmal aus anderer Perspektive und geht auf seine Sprachtheorie ein. Der letzte Vortrag versucht eine Zusammenführung, indem er das Denkerische und Dichterische in der Sage aufeinanderbezogen sieht. Heidegger mutet dem Leser in diesem Teil am meisten zu, denn scheinbar hat der "Parametercharakter von Raum und Zeit"[36] nur noch wenig mit dem Gedicht zu tun.
Seine Ausgangsthese ist zunächst, daß seine Grunderfahrung bereits von Stefan George gemacht und dichterisch umgesetzt wurde[37]:
Wo aber kommt die Sprache selber als Sprache zum Wort? Seltsamerweise dort, wo wir für etwas, was uns angeht, uns an sich reißt, bedrängt oder befeuert, das rechte Wort nicht finden. [...] Wo es nun aber gilt, etwas zur Sprache zu bringen, was bislang noch nie gesprochen wurde, liegt alles daran, ob die Sprache das geeignete Wort schenkt oder versagt. Einer dieser Fälle ist der Fall des Dichters. So kann denn ein Dichter sogar dahin gelangen, daß er die Erfahrung, die er mit der Sprache macht, eigens, und d.h. dichterisch, zur Sprache bringen muß.
Er glaubt also, daß der Titel "Das Wort" ein bestimmtes Wort meint, welches der Dichter nicht gefunden hat und nun im Gedicht diesen Erfahrungsprozeß thematisiert[38]. Mit dem Ausbleiben eines Wortes tritt der Charakter der Sprache insgesamt hervor[39]. Der notwendige Verstehensbruch tritt nach Heidegger in der letzten Strophe des Gedichts ein, er wird als solcher auch bewußt durch das letzte Wort "gebricht" gekennzeichnet. Heidegger formt die Schlußzeile von dem schillernden "sei", das sowohl Konjunktiv, Imperativ als auch berichtend gemeint sein kann, in eine eindeutige Aussage um[40]:
Der Inhalt der Schlußzeile läßt sich in eine Aussage umformen, die lautet: Kein Ding ist, wo das Wort gebricht [...] Es gebricht heißt: es fehlt. Kein Ding ist, wo das Wort fehlt, nämlich das Wort, das jeweils das Ding nennt. Was bedeutet <<nennen>>? Wir können antworten: Nennen meint: etwas mit einem Namen ausstatten.
Dieser Schritt ist zunächst nachvollziehbar, schließlich erwartet man nach einem Doppelpunkt eine direkte Rede, gerade weil dies bereits in der fünften Strophe der Fall war. Dennoch führt diese Deutung in eine Aporie, da sie davon ausgeht, daß Worte wie Zeichen zu benutzen sind, dabei zeigt doch gerade der zweite Teil des Gedichtes, daß dies nicht geht. Schließlich benannte George das Kleinod bereits als solches, worauf es ihm erst entrann. Wenn er nun den Verzicht auch noch benennt, dann hätte er nichts dazugelernt, das "sei" zeigt also an, daß sich ein Wandel vollzogen hat, der für das Gedicht sehr wichtig ist.
Um dieses Verhältnis von Sprache zum Ding näher zu fassen, setzt Heidegger versuchsweise beide als getrennt voraus. Ein Ding existiert zwar an sich, aber ohne Benennung nutzt uns dies nichts. Auch diese Version geht nicht auf. Nimmt man das Sein als unabhängig vom Wort an, dann kann das Ausbleiben des Wortes nicht einen Verlust des Seins erzeugen, das Kleinod wäre auf der Hand geblieben[41].
Daraus folgt, daß die Veränderung zwischen Name und Wort und zwischen dem Kleinod und dem 'sei' in der letzten Zeile schon von George gewollt war, ihm ging es bei dem Bruch in der letzten Zeile gerade um diese Wandlung, die er durch die Konjugation des Verbs verdeutlichte[42]: "Stefan George sagt jedoch statt <<ist>>: sei; und er könnte nach der von ihm sonst geübten Schreibweise den Doppelpunkt weglassen, was der indirekten Rede des letzten Verses, falls es eine solche ist, fast gemäßer wäre." Wieder bietet Heidegger eine alternative Denkweise an, indem er das "sei" mit Verweis auf Goethe (UzS, S. 166) als Definition setzt. Doch im Gedicht Georges läßt sich auch diese These nicht durchhalten, der Dichter meint keine theoretische Definition. Heidegger nimmt nun die vorletzte Zeile hinzu, er fragt, auf was der Dichter verzichtet hat. Klar ist an dieser Stelle, daß er nicht direkt sagen kann, was der Verzicht bedeutet. Denn ein Verzicht meint, daß etwas unterlassen wird, eben nicht zur Sprache kommt. Heideggers Antwort auf die Bedeutung des Wortes "Verzicht" lautet[43]:
Was auf den Doppelpunkt nach dem Wort <<Verzicht>> folgt, nennt nicht das, worauf verzichtet, sondern nennt den Bereich, in den sich der Verzicht einlassen muß, nennt das Geheiß zum Sicheinlassen auf das jetzt erfahrene Verhältnis zwischen Wort und Ding. Worauf der Dichter verzichten lernte, ist die vormals von ihm gehegte Meinung über das Verhältnis von Ding und Wort.
George hätte damit, anstatt die Sprache als ein Instrument zu denken, sie nun als ein Geheiß, einen Imperativ oder eine Botschaft empfangen. Diese ist ein aus der Erfahrung stammendes Prinzip, welches dazu dient, die Sprache nicht mehr als Bezeichung eines Dinges anzusehen, sondern vielmehr das umgekehrte schlußzufolgern[44]:
Laß fortan kein Ding als seiendes zu, wo das Wort gebricht. In dem als Geheiß verstandenenen <<sei>> sagt sich der Dichter das gelernte Entsagen zu, worin er die Meinung fahren läßt, etwas sei auch dann und sei schon, wenn das Wort noch fehle.
Wenn Heideggers Deutung stimmt, dann liegt hier in der Tat eine Parallele zu seinem sprachphilosophischen Ansatz vor. Sein Vorhaben, zwischen Dichten und Denken zu vermitteln, wäre geglückt. Für Heidegger spricht die Art und Weise wie George zu seiner Erfahrung gekommen ist: über das Wort[45]:
Das Wort sagt sich dem Dichter als das zu, was ein Ding in dessen Sein hält und erhält. Der Dichter macht die Erfahrung mit einem Walten, einer Würde des Wortes, wie sie weiter und höher nicht gedacht werden können [...] Der Dichter erfährt den Dichterberuf im Sinne einer Berufung zum Wort als dem Born des Seins.
Für den Dichter gibt es das Sein nur, insofern er Worte findet. Dies ist für Heidegger die einzig mögliche Auffassung von Sprache, George hätte das erkannt, indem er das Gedicht mit "Das Wort" überschrieben hat und die dichterische Erfahrung so zu einer allgemeinen gemacht. Wichtig ist hier die Stellung des Wortes gegenüber Heideggers Anfangsthesen: Das dichterische Wort hätte erst hervorgebracht, daß die Zeichentheorie der Sprache nicht aufgeht und gleichzeitig die Lösung geboten, indem es die Stellung der Sprache ausdehnte. Bezeichnend für Heideggers Stil ist die Vorwegnahme eines Deutungsschrittes. So spricht er vom 'Born des Seins' und legt so schon nahe, daß auch George mit dem Born das Sein meinte, noch bevor dieser Schritt argumentativ erörtert wurde. So elegant seine Interpretation auch ist, sie kann in dieser Form nicht schlüssig erklären, warum George den Verzicht "traurig" lernte. Für George scheint doch der Verzicht ein Verlust zu sein, während Heidegger in ihm einen neuen Ansatz in der Sprachphilosophie sieht und daher positiv beurteilt. Um nun die Aufeinanderbezogenheit von Dichten und Denken aufrechtzuerhalten, legt der Philosoph den Verzicht als ein erfülltes Entsagen aus[46]:
Aber der Verzicht - so zeigte sich - ist kein Verlust. Das <<traurig>> betrifft auch nicht den Verzicht sondern das Lernen des Verzichtes. Die Trauer jedoch ist weder bloße Niedergeschlagenheit noch Trübsinn. Die eigentliche Trauer ist in den Bezug zum Freudigsten gestimmt, aber zu diesem, insofern es sich entzieht, im Entzug zögert und sich spart.
Heidegger argumentiert hier auf zwei Ebenen. Einerseits besteht er darauf, daß die Trauer von dem Lernen des Verzichtes herrührt, nicht vom Verzicht selber. Andererseits weiß er wahrscheinlich, wie leicht diese Deutung zu kippen ist. Denn ihr müßte folgen, was denn die alte Haltung Positives gegenüber der neuen Sichtweise enthalten hatte. Dies würde aber mit einer Relativierung des eigenen Ansatzes einhergehen, darum erklärt Heidegger die Trauer als eine Art dichterischer Melancholie, welche "auf die Trauer gestimmt" ist, die aber dennoch die Möglichkeit zur Freude enthält. Damit wird aber seine Interpretation beliebig, da sie den Unterschied zwischen Trauer und Freude nicht einmal fassen kann.
Heidegger hat seine Schwäche wahrscheinlich erkannt und in dem Vortrag "Das Wort", der ein halbes Jahr später gehalten wurde, die Trauer mit dem Verzicht gleichgesetzt[47]. Damit revidiert er aber seine eigene Meinung. Denn im "Wesen der Sprache" hat er noch behauptet, daß es das Lernen des Verzichtes ist, welches die Trauer verursacht und so versucht, die dichterische Erfahrung und seine Thesen in Zusammenhang zu bringen. Heideggers Ansatz läßt in dieser Version keinen Platz mehr für einen alternativen Denkweg, denn sie hat zur Voraussetzung, daß der Dichter um die Kluft zwischen Wort und Ding trauert und diese Trauer gleichzeitig als ein Geheiß bewußt lebt. Er stilisiert die Erfahrung als eine epochale, erschütternde, sogar als "Schmerz"[48], um das Gefühl zu erklären. Aber hat sich Heidegger an dieser Stelle nicht schon sehr weit vom Gedicht selber entfernt? Daß George das Lernen des Verzichts traurig machte und nicht der Verzicht selbst, dürfte doch aus dem Poem klar hervorgehen. Außerdem nivelliert Heidegger den Unterschied zwischen dem Adverb "traurig" und dem Nomen "Trauer". Traurig kann man schon wegen eines kleinen Verlustes sein. Wenn ein Kind sein Spielzeug verliert, ist es zum Beispiel traurig, obwohl wir nicht sagen würden, daß es in Trauer ist! Um in Trauer zu sein, bedarf es eines großen, meistens mitmenschlichen Verlustes. Diesen scheint aber das Gedicht gerade nicht zu meinen, spricht es doch ausdrücklich von einem "kleinod", das entrinnt[49]!
Heideggers Auslegung setzt voraus, daß der Dichter eine Erfahrung mit der Sprache gemacht hat, George schreibt aber ausdrücklich, daß er den Verzicht lernte. Im "Wesen der Sprache" übergeht er diese Differenz völlig, in "Das Wort" setzt er durch eine 'abenteuerliche' Herleitung Erfahrung und Lernprozeß gleich[50]:
Der Dichter hat den Verzicht gelernt. Lernen heißt: wissend werden. Wissen ist, lateinisch gesprochen, qui vidit, wer etwas gesehen, erblickt hat, wer das Erblickte nie mehr aus dem Blick verliert. Lernen heißt: in solches Erblicken gelangen. Dazu gehört, daß wir es erlangen, nämlich unterwegs, auf einer Fahrt. Sich in das Er-fahren schicken heißt: lernen.
Zwar begnügt er sich immerhin damit, einen Neologismus "Er-fahren" einzuführen, durch den er etymologisch die Brücke zur Fahrt und damit zum Weg schlägt, dennoch übergeht er den Unterschied zwischen Erfahrung und Lernen. Erfahren heißt doch, daß jemand selber für sich von dieser Erfahrung eingenommen wird. Lernen bedeutet aber gerade, daß wir in gewisser Weise unbeteiligt sind, lernen können wir zum Beispiel am Modell. Vielleicht wollte George durch dieses "lernt ich" eine winzige Distanz zwischen Dichter und Dichtung und zwischen lyrischem Ich und Norne setzen. Das würde aber gegen eine solch tiefgehende Einsicht sprechen, wie es Heidegger gerne hätte. Dann würde sich der Verzicht auch darin äußern, daß der Dichter gerade um die Begrenztheit der Aussage auf das Dichterische wußte!
Erst nachdem Heidegger das Gedicht vom Schluß her so gewaltsam ausgelegt hat, geht er zu den ersten Strophen über. Seine weitere Auslegung setzt die erarbeiteten Thesen voraus, ohne sie prüfen zu wollen. Dabei nimmt er an, daß die Erfahrung Georges sich in den ersten sechs Strophen finden läßt. "So lernt ich..." (Zeile 13) zeigt eine Vorzeitigkeit der vorangehenden Strophen an, demnach muß Heidegger das "Einst" auch als "Einmal" übersetzen[51]: "Dann setzt mit der vierten Strophe die zweite Triade ein; und zwar jäh in dem Wort <<Einst>>, das hier nach seiner alten Bedeutung soviel besagt wie: Einmal. Die zweite Triade sagt, was der Dichter ein und für allemal erfährt." Es fällt kaum noch auf, wie groß der Deutungsschritt vom "Einst" zur tiefen Erfahrung, die "ein und für allemal" gilt, eigentlich ist.
Interessanterweise nimmt es Heidegger nun mit seiner Auslegung nicht mehr so genau, er begnügt sich vielmehr damit, die voranstehenden Verse wie ein Märchen zusammenzufassen und somit jegliche lyrische Struktur zu mißachten. Dabei macht er semantische Andeutungen, daß z.B. "mark" ein Grenzland ist und "norn" die alte Schicksalsgöttin meint, lenkt seine Interpretation aber vor allem in die bereits angelegte Richtung[52]:
Das Wort, die Sprache, gehört in den Bereich dieser geheimnisvollen Landschaft, wo das dichterische Sagen an den geschickhaften Quell der Sprache grenzt. Zunächst und langehin scheint es so, als brauche der Dichter nur die Wunder, die ihn bezaubern oder die Träume, die ihn entrücken, an die Quelle der Sprache zu bringen, um sich daraus in ungetrübter Zuversicht die Worte schöpfen zu lassen, die auf alles passen, was sich ihm an Wunderbarem und Geträumten eingebildet hat. [...] Zunächst und langehin schien es so, als seien die Worte wie Griffe, die das schon Seiende und für seiend Gehaltene umgreifen, dicht machen, es ausdrücken und ihm so zur Schönheit zu verhelfen.
Heidegger erläutert nicht, wie er zu dem Schluß kommt, daß es hier um den "geschickhaften Quell der Sprache" geht. Hingegen lassen sich einige Ergebnisse auch leicht bestätigen, so läßt sich die klar gegliederte Zeile "Einst langt ich an nach guter fahrt" schon durch ihren Sprachduktus als Ausdruck einer Zuversicht verstehen. Auch die Paraphrasierung von "Drauf konnt ichs greifen dicht und stark" trägt zum Verständnis bei, da sie den Vers nicht in eine Bedeutung zwingt, aber dennoch auf ihre Weise die Idee mit Hilfe des Gedichts durchspielt.
Heidegger glaubt nun, daß das Kleinod deshalb nicht zum Schatz des Landes wird, weil es gerade diesen Verstehensbruch erzeugte. Das Kleinod ließ diese einfache Sichtweise der Sprache als Bennung von Dingen und Sachverhalten mit Namen nicht zu. Dennoch ist diese Erfahrung selbst erhalten geblieben, sie bot "die Gelegenheit, jenen Verzicht zu lernen, in dessen Entsagung sich ihm das Verhältnis von Wort und Ding zusagt."[53] Die ersten drei Strophen erörtern daher das Verhältnis des Dichters, worin er sich "vor der Erfahrung"[54] aufhielt. Vor der Erfahrung dachte der Dichter noch, er könnte seine Wunder und Träume einfach ausdrücken und dichterisch beschreiben[55], was ihn dazu veranlaßt, auch das Kleinod von der vierten Strophe an direkt als solches zu benennen. Doch diese Haltung ist falsch, was ihm durch die Norne verkündet zur eigentlichen sprachlichen Erfahrung wird. Die letzte Strophe zeichnet sich dadurch aus, daß sie eben nicht in die Versuchung gerät, diese Erfahrung direkt thematisieren und so über die Erfahrung sprechen zu wollen. Vielmehr verweist sie auf die vorherigen Strophen und gibt nur noch Wege an, diese Erfahrung selbst zu machen. George muß demnach die sprachliche Erfahrung in eine handelnde übersetzen, weil er ansonsten wieder den Fehler begehen würde, über die Sprache zu sprechen. Dabei gehört es zur Aufgabe des Lesers, das Kleinod mit dem Wort gleichzusetzen. Der Titel ist nur als ein Wink zu verstehen[56]:
Meint der Dichter mit dem <<kleinod reich und zart>> vielleicht das Wort selbst? Dann hätte Stefan George, dichterisch ahnend, daß das Wort selber kein Ding sein könne, bei der Norn für das Kleinod, nämlich für das Wort, das Wort erbeten. Und genau das geht nicht, die Sprache ist kein Ding, von ihr läßt sich auch nicht sagen, daß sie selber 'ist'. George hätte also mit der letzten Zeile einerseits gemeint, daß das Verhältnis von der Sprache zum Ding selbst in der Sprache liegt. Andererseits neigen wir dazu, gerade dieses Verhältnis erneut auf die Sprache zu übertragen und so von ihr zu sagen, daß sie "gebricht", somit hätte der Dichter auch diese Möglichkeit verworfen57:Vom Wort dürften wir, sachgerecht denkend, dann nie sagen: Es ist, sondern: Es gibt - dies nicht in dem Sinne, daß <<es>> Worte gibt, sondern daß das Wort selber gibt [...] Was denn? Nach der dichterischen Erfahrung und nach ältester Überlieferung des Denkens gibt das Wort: das Sein.
Hieraus wird auch Heideggers Abneigung gegen wissenschaftliche Etiketten wie Metaphern deutlich. Nimmt man nämlich an, daß es sich bei dem Kleinod um eine Metapher handelt, dann bleibt man in seiner Deutung an der alten Sichtweise hängen. Denn eine bildliche Ausdrucksweise setzt voraus, daß es etwas Nicht-bildhaftes, Feststehendes gibt. Aber genau das bezweifelt Heidegger[58]: "Wir sprechen von der Sprache im ständigen Anschein nur über die Sprache zu sprechen, während wir bereits aus der Sprache her, in ihr sie selbst, ihr Wesen, uns sagen lassen." Die Sprache gibt uns also beständig etwas vor, ohne daß wir es merken. Sie gibt uns die Existenz von Dingen vor und sie ist es, die uns nahelegt, einfach über sie sprechen zu können. Doch das ist ein Trugschluß, weshalb Heidegger auch von der Sage redet. Die meisten Sagen sind historisch kaum genau zu datieren und stellen eine, meistens volkstümliche, Überlieferung dar. Bei einer Sage ist es niemals sinnvoll zu fragen, was denn in der Realität damit gemeint sei und wann die Sage spiele. Die Sage weist uns nur auf etwas hin, 'zeigt uns etwas'[59]. Mit der Interpretation der Sprache als Sage wird auch sein Ansatz des Entsprechens deutlicher. Entsprechen meint nun, die Sage zu verstehen, um nicht dem Glauben zu verfallen, es gäbe etwas jenseits ihrer. Daß Heidegger nun in Vortrag II und III wieder über den Umweg eines Gedichtes, George und die Sage verbindet, erscheint zwanghaft und unsachlich (UzS, S. 195). Genauso wie die 'merkwürdige' Ausführung über die Zeit sich scheinbar vollends vom Gedicht entfernt (UzS, S. 209). Heidegger selbst gibt keinen Anknüpfungspunkt mehr[60], allerdings bietet das Gedicht dennoch Deutungsmöglichkeiten, welche seine Ausführungen stützen.
6. Möglichkeiten zur weiteren Deutung
6.1 Die Norne, die Zeit und der Tod
Die Bedeutung des Wortes Norn läßt sich bis in das Mittelalter zurückverfolgen, wobei es altnordischer Herkunft ist und seit dem 18. Jahrhundert als 'Norne' bezeichnet wird[61]. Drei Nornen personifizieren nach der nordischen Sage des Snorri Sturluson[62] die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Das Schicksal ist also als ein zeitliches Schicksal gedacht, bzw. es ist das Schicksal des Menschen, zeitlich zu sein. Wenn George davon spricht, daß ihm eine "graue norn" begegnet, dann muß man davon ausgehen, daß er die Norne Urdr meint, nach welcher der Urdarbrunnen benannt ist und welche die älteste Norne war[63]. Urdr bestimmt über die Zeit und den Ort des Todes, wobei sie auch die Vergangenheit symbolisiert[64]. Der Urdarbrunnen wird auch als Schicksalsquelle[65] bezeichnet, was für Heideggers Auslegung spräche. Demnach hätte George nicht versucht, eine neue Sprache zu schöpfen, sondern vielmehr ließ er sich sozusagen von der Vergangenheit belehren, von der Sprachgeschichte. Dann könnte man die Trauer auch als eine Ohnmacht gegenüber dem eigenen Schicksal ansehen, das die eigenen Möglichkeiten jeweils vorgibt und das insofern nicht kausal, d.h. nach Gründen, zu meistern ist. George hätte deshalb den gesamten Poem im Imperfekt geschrieben, abgesehen von den zwei Erfahrungen, die jeweils als überzeitliche erschienen, was jedoch bei der ersten ein Trugschluß war.
Die graue Norn gab in Strophe zwei den Namen aus dem Brunnen, obwohl sie wußte, daß diese Haltung des lyrischen Ichs nicht richtig ist. Der einzige Weg ist es, wie Heidegger sagt, mit der Sprache eine Erfahrung zu machen. Nur so läßt sich herausfinden, ob ein Wort "gebricht" oder nicht. Heidegger sagt es nicht ausdrücklich, aber daß er die Norne mit der Sage gleichsetzt, dürfte aus dem Gesagten klar hervorgehen. Interessanterweise benutzt er nicht den neueren Ausdruck, sondern übernimmt den altnordischen, ohne es zu kommentieren.
Die Zeitlichkeit läßt sich aber auch noch an anderer Stelle ableiten. So ist das gesamte Gedicht voll von zeitlichen Ausdrücken, bzw. räumlichen Ausdrücken, welche die Zeit darstellen: "ferne", "harrte bis", "Drauf", "Nun", "Einst", "lang", "Worauf", "nie". Erst die letzte Strophe ist frei von ihnen und hat nicht mehr die Struktur von kausalen Ableitungen innerhalb einer 'Handlung'. Das Geheimnis der Norne könnte also auch darin liegen, daß es keine Zeit in dem Sinne gibt, wie es uns die Sprache mit ihren Verräumlichungen vorgaukelt. Also ist auch der vergebliche Versuch, sie messen und feststellen zu wollen, indem man Raum und Zeit auf ihren "Parametercharakter" (UzS, S. 209) reduziert, auf unsere Haltung gegenüber der Sprache zurückzuführen[66]. Wie der Tod zu denken ist, läßt Heidegger offen. Vielleicht ist es gerade das Fehlen einer Antwort, bzw. der Hinweis, daß wir ständig den Verzicht üben müssen, um nicht von der Norne, d.h. der Sprache eine falsche Auskunft zu bekommen[67].
6.2 Das Gedicht als Lied
Heidegger geht nicht auf die Melodie und Metrik des Gedichtes ein, insofern er sie als etwas Abgesondertes behandelt. Er erwähnt aber an mehreren Stellen den besonderen Liedcharakter und den Rhythmus. Er schreibt[68]: "Das Lied wird gesungen, nicht nachträglich, sondern: Im Singen fängt das Lied an, Lied zu sein. Der Dichter des Liedes ist der Sänger. Dichtung ist Gesang." Das Lied also ist nicht vom Singen abzulösen, genauso wie man über die Struktur der Lyrik nicht abgesondert von ihr reden kann, man könnte ergänzen: über die Melodie kann man nicht reden, man kann nur in sie einstimmen.Wir lernen die Sprache nicht durch Reflexion, sondern durch das Nachsprechen[69]. Heidegger schreibt[70]:"Der Dichter sagt dem Wort nicht ab. Das Kleinod entzieht sich allerdings in das geheimnisvoll Erstaunende, was staunen läßt. Darum sinnt der Dichter, wie der Vorspruch zu <<das lied>> sagt, auch jetzt noch, er sinnt mehr noch als zuvor: Er fügt noch - nämlich ein Sagen, anders noch als zuvor. Er singt Lieder." Wieso zieht er aber Beispiele heran, welche diesen Liedcharakter nur noch in Andeutungen besitzen? Eine denkbare Antwort ist die Zaghaftigkeit, welche von den zitierten Gedichten ausgeht. George weiß, daß er über das Wort nicht sprechen kann, er weiß aber auch, daß er gerade erst dabei ist, eine andere Form dieses Dialogs zu finden. Diese "Wandlung des Sagens"[71] hat demnach eben erst stattgefunden und wird immer erneut problematisiert. George versucht also, über die Form das Wort als solches zum Durchscheinen zu bringen. Die Art wie in den Sängen eines fahrenden Spielmanns[72], aber auch in "Das Lied"[73] gedichtet wird, berücksichtigt Heidegger nicht. Allerdings stellen auch sie mit ihrer Einfachheit die Melodie aus. "Das Lied" klingt so schlicht, daß wir uns ebenso leicht "verhören" (UzS, S. 238). Heidegger schreibt in "Das Wort"[74]:
Warum dichtet er sogar ein Gedicht mit der Überschrift Das Wort? Antwort: Weil dieser Verzicht ein eigentlicher Verzicht ist und keine bloße Absage an das Sagen und somit kein bloßes Verstummen. Als Sichversagen bleibt der Verzicht ein sagen. So wahrt er das Verhältnis zum Wort. Weil jedoch das Wort sich in einem anderen, höheren Walten gezeigt hat, muß auch das Verhältnis zum Wort eine Wandlung erfahren. Das Sagen gelangt in eine andere Gliederung, in ein anderes telos, in einen anderen Ton. Daß der Verzicht des Dichters in diesem Sinne erfahren ist, bezeugt das Gedicht selber, das den Verzicht sagt, indem es ihn singt. Denn dieses Gedicht ist ein Lied.
Welche Funktion aber hat die Melodie in dem Gedicht selber? Wenn Heidegger vom Sichversagen als ein Sagen spricht, dann heißt das, daß der Verzicht nur auf der semantischen Ebene stattfindet, er aber auf der musikalischen Ebene etwas Positives bedeutet[75]: "Der gelernte Verzicht ist keine bloße Absage an einen Anspruch, sondern die Wandlung des Sagens in den fast verborgen rauschenden liedhaften Widerklang einer unsäglichen Sage." Die Melodie spielt nun aber gegen den Inhalt. Sie unterstreicht nicht mehr, vereinnahmt nicht, sondern gibt verborgene Hinweise, ohne reflexiv zu werden. Das läßt sich im Gedicht gut nachprüfen. Es fällt auf, daß nahezu alle Wörter einsilbig sind und dem Gedicht eine klare Gliederung verleihen. Aber dennoch ändert sich die Melodieführung sehr sensibel. Der Auftakt der Zeilen ist akzentuiert. Die ersten zwei Strophen enden mit einem weichen Konsonanten: "traum", "saum", "norn", "born". Die folgenden zwei Strophen schließen positiv und kraftvoll mit einem Verschlußlaut: "stark", "mark", "fahrt", "zart" Mit der fünften Strophe bereitet sich ein langsamer Wechsel zum weicheren "d" vor: "kund", "grund" Dieser gipfelt schließlich in der sechsten Strophe, die mit Nasalen ausläuft und so den Verlust unterstreicht: "entrann", "gewann" Die letzte Strophe ist klanglich am vollkommensten, sie klingt im "So" zwar weich an, schließt aber in ihrer ersten Zeile bereits sehr hart ab ("verzicht"), um dem Gedicht in der letzten Zeile dann endgültig einen mutigen und kämpferischen Ausklang zu geben: "Kein", "gebricht" Zumindest der Klang der letzten vier Strophen spricht also für Heideggers Vermutung. Klanglich wird hier gerade nicht verzichtet. Dafür spricht auch die bis in klangliche Details hörbare Dramaturgie des Gedichtes, welche den Verzicht inszeniert und so über ihn triumphiert. In Verszeile 10 dehnt die Norne mit ihrer Mitteilung die Klangführung, was vor allem durch das "tiefem" erzeugt wird. Ähnliches 'inszeniert' nun aber der Bericht, welcher mit dem "nie" das Erlebnis des Verlustes dehnt. Der Dichter gibt sich also nur als ein Empfänger einer Botschaft, in Wahrheit weist er mit der Form auf die Sprache hin, auch wenn er das 'Sprachmaterial' von der Norne in gewissem Sinne vorgegeben bekommt.
Zieht man Heideggers Auffassung des Dichters als jemanden, der in der Sprache lebt, mit heran, dann läßt sich auch die Position der Lieder in Georges Gedichtband erklären. Sie folgen dem Abteil "SPRÜCHE AN DIE TOTEN" (George (1964): Das neue Reich, S. 114-122). Die Lieder wären demnach eine ausgezeichnete Möglichkeit, die Sprache zu tradieren und so die Endlichkeit zu überschreiten. Die Melodie und der Rhythmus wären also nicht eine zusätzliche Möglichkeit für ein Gedicht, sondern seine erste. Wahrscheinlich geht Heidegger deshalb auf den Vorspruch ein (UzS, S. 229). George schreibt dort: "WAS ICH NOCH SINNE UND WAS ICH NOCH FÜGE / WAS ICH NOCH LIEBE TRÄGT DIE GLEICHEN ZÜGE" (George (1964): Das neue Reich, S. 124). Auffallend ist hier die dreimalige Wiederholung des Temporaladverbs "noch", welches durch die Form, "die gleichen züge", gebändigt wird. Georges Lieder sollen wie die des Knechtes, der sich im Wunderwald verirrt, noch nach seinem Tod gesungen werden[76]. An anderer Stelle spielt Heidegger auf den Dialekt an[77]:
Schon allein der einfache Sachverhalt, daß wir die landschaftlich verschiedenen Weisen des Sprechens die Mundarten nennen, ist kaum bedacht. Ihre Verschiedenheit gründet nicht nur und nicht zuerst in unterschiedlichen Bewegungsformen der Sprechwerkzeuge. In der Mundart spricht je verschieden die Landschaft und d.h. die Erde. Aber der Mund ist nicht nur eine Art von Organ an dem als Organismus vorgestellten Leib, sondern Leib und Mund gehören in das Strömen und Wachstum der Erde, in dem wir, die Sterblichen, gedeihen, aus der wir das Gediegene einer Bodenständigkeit empfangen. Mit der Erde verlieren wir freilich auch das Bodenständige.
Das paßt zu George, insofern er desöfteren speziell rheinischen Dialekt in die Gedichte eingeflochten hat[78]. Seine "Tafeln" im 'siebenten Ring' verweisen auf historische Städte und Plätze. Mit Verweis auf Hölderlins Elegie "Brod und Wein" (UzS, S. 206) will Heidegger die Sprache als die "Blume des Mundes"(UzS, S. 208) verstanden wissen. Sein Begriff von 'Volk' definiert sich hierbei nicht nach die räumlichen und situativen Gegebenheiten, sondern vielmehr sind es die sprachlichen Elemente, welche jeweils erst eine Topographie in Mundarten zulassen und nur durch die Überschreitung der sprachlichen Grenzen zu bemerken sind. Diese Überschreitung kann sich auf vielfache Weise vollziehen, wobei Heidegger keine genauen Angaben hierzu macht. Heidegger appelliert hier also keineswegs an ein konkretes Heimatgefühl, er hat vielmehr das Wohnen in der Sprache im Sinn. Um in einem Haus wohnen zu können, müssen wir es einrichten. Obwohl wir in solchen hochgradig kulturellen Aufenthalten wie den Häusern tagtäglich unser Lebens verbringen, machen wir uns kaum Gedanken über das Mobiliar, die Farben der Wände und so fort, genauso ist es mit der Sprache. Erst wenn wir die alltägliche Sprache verlassen, andere Sprachformen kennenlernen oder wenn uns, wie Heidegger sagt, das Wort fehlt, wird uns die Sprache als solche bewußt.
Das Dichten und seine Auslegung der Dichtung verfolgt also die Absicht, diese 'sprachliche Behausung' besser zu verstehen, uns sensibler zu machen für feine Nuancen. So wird ein 'wahres' Wohnen ersteinmal ermöglicht. Das "Erscheinenlassen von Welt" (UzS, S. 208) tritt erst dann ein, wenn sich jemand für den Empfang bereithält. Dazu brauchen wir aber die topographischen Grenzen nicht zu überschreiten. Vielmehr bringt uns erst das Bereithalten für eine Erfahrung und das "Hörenkönnen" (UzS, S. 207) überhaupt in die Möglichkeit, die Sprache bewußt zu nutzen. So hätte Heidegger also auch eine Erklärung dafür geliefert, warum George den Reim durch solche fast schon erzwungenen Worte wie "norn" mit "born" bildet. Sie dienen dazu, die Sprachgeschichte durchsichtig zu machen, weil sie den Leser irritieren.
7. Kritik und Versuch einer eigenen Deutung
7.1 Heideggers Ansatz und die wissenschaftliche Literatur
Interessanterweise kommt Klussmanns Interpretation schon 1957 zu einem ähnlichen Ansatz wie Heidegger, obwohl er wissenschaftlich verfährt[79]:
Dem gewöhnlichen Menschen gelten fast immer die Worte als solche wenig gegenüber den Dingen, die sie meinen. Sie sind zweckdienliche 'Bezeichnungen', sonst nichts. Seine Welt erfährt er gerade nicht im Wort, sondern in den Dingen und den Geschehnissen selbst. Ganz anders beim jungen George [...] Es war ihm höchste und herrscherliche Lust, im leibhaft schönen Wort ein Seiendes anzurufen und zu seiner für ihn erst so ganz wirklichen Erscheinung zu bringen.
Sein Fazit vollzieht genau jene Wendung, die auch Heidegger anspricht, ohne sie jedoch mit solchem rhetorischen Aufwand zu inszenieren[80]: "Von dieser Sendung des Dichters in der modernen Welt kündet das Wort-Gedicht: Der Dichter sitzt an der Wurzel des Weltbaums. Sein Wort ist das Wasser des Lebens. Wo es ausbleibt, ist weder Sinn noch Wirklichkeit. Da entgleitet das Sein ins Nichts."
Klussmann kann aus seiner Position natürlich nicht der gesamten Sprache den Charakter der Sage geben, wie dies Heidegger tut. So bleibt für ihn die Norn eine "symbolische Chiffre" (Klussmann (1957), S. 290), in welcher er den Glauben Georges an die "fortwirkende Kraft des Worts" (Ders., S. 291) sieht. Auf die Problematik der Mitteilung und somit der Indirektheit des Gedichtes, die Heidegger so ausführlich herausarbeitet, kommt Klussmann nicht zu sprechen.
Werner Kraft klagt über Heideggers "schwindelerregende Überlegungen"[81], letztendlich aber "ohne das Ganze bestreiten zu wollen". Anders als Heidegger kommen Kraft[82] und Klussmann[83] zu dem Ergebnis, daß es sich nicht um ein Lied handelt. Damit stellen sie allerdings die wissenschaftlichen Kategorien über Georges eigenes Bekunden. Warum er das Abteil seines Gedichtbandes mit "das lied" überschrieben hat, muß aus dieser Sichtweise rätselhaft bleiben.
Max Kommerell weist den Philosophen in einem Briefwechsel über seine Hölderlin-Interpretation "Wie wenn am Feiertage ..." darauf hin, daß sich Dichtung und Philosophie in seiner Auslegungspraxis allzusehr durchdringen[84]: "Wo ist der Übergang, wo Ihre eigene Philosophie in Hölderlin mündet, und wo sie in so entscheidender Weise aus einer Beschreibung der menschlichen Situation zur metaphysischen Aussage und zur absolut letzten Gewißheit wird - wo sie diese Gewißheit aus sich findet, und sich in diesem Punkt mit Hölderlin gleichsetzt - und wo sie endlich in der spezifischen Art der Aussage sich der Dichtung nähert? Das sind die Prämissen, deren Vorenthaltung gerade Ihren Aufsatz so faszinierend macht, aber auch ein Ja oder Nein dazu erschwert!" Kommerells Worte behalten für "Unterwegs zur Sprache" nicht nur Gültigkeit, sie werden dort sozusagen zur Voraussetzung der Interpretation selber erklärt! Weiterhin gilt auch, was Kommerell zur Beschreibung des Gedichtes zu sagen hat[85]:"Daß Hölderlins Gedichte esoterisch sind, ist mir klar, und es geht aus Ihrer Auslegung in einer mehr als nur fühlbaren Weise hervor; Sie aber haben als Ausleger Hölderlins Esoterik nicht in die öffentliche Sprache übersetzt (was ich auch nicht ersehne!), sondern in eine neue Esoterik [...]" Auf George übertragen hieße das: Heidegger hätte George nur insofern 'entsprochen', als daß er eine ihm sehr ähnliche Wortwahl und Stilistik auswählte. Diese geleitet den Leser aber nur wenig in das Verständnis, sie ermöglicht nur dem einen Zugang, der ihn sowieso schon besitzt. Heidegger hätte demnach nicht den Anspruch, sich einem größeren Kreis zu öffnen, sondern wäre eher bestrebt, einen Kreis getreuer Kenner um sich zu scharen.
Wichtig ist, daß Heidegger in Kommerell auch einen intimen Kenner des George-Kreises wußte. Somit ist sein Zurückgehen zu George nicht nur sprachphilosophisch zur verstehen, sondern stellt auch ein Rückgang in die eigene Geschichte dar. Anders als Heidegger konnte George allerdings nicht der Versuchung erliegen, sich persönlich durch den Nationalsozialismus vereinnahmen zu lassen, denn er starb bereits am 4.12.1933[86]. Heidegger geht an keiner Stelle auf die ideologischen und ästhetischen Gemeinsamkeiten zwischen dem Nationalsozialismus und Georges Lyrik ein. Er tut überhaupt während der ganzen Interpretation so, als ob Georges Einstellung sich seit den frühen Schriften kaum geändert hätte. Doch es spricht einiges dafür, daß der Dichter sich der Politik und dem Zeitgeschehen ansatzweise öffnete, insofern es seinem Hang zum Mythos entgegenkam[87].
So bleibt seine Auslegung auch ein stückweit ein Versuch, die konservative Position zu restaurieren, ohne sich selber Verantwortung zuschreiben zu müssen. Anstatt den Fehler einzusehen, der in der unkritischen Haltung des Dichters gegenüber der Gesellschaft lag, vertieft Heidegger diese Position nur noch. So wird die Öffentlichkeit nicht zu Chance, sondern vielmehr zum größten Feind der Lyrik. Zu einem historisch-kritischen Ansatz kann Heidegger aus seiner Position nicht gelangen.
7.2 Versuch einer alternativen Interpretation
Die Schwachstellen von Heideggers Ansatz sind zahlreicher, als es zunächst den Anschein machen mag. Das liegt vor allem daran, daß er den Schwerpunkt auf das 'Fazit' des Gedichtes legt und so die Bedeutung der letzten Strophe überbetont. Auf die lyrischen Momente geht er kaum ein, weil er das Kleinod mit dem Wort gleichsetzt und so im Lyrischen nur die notwendige Sprachwandlung sieht, um 'über' das Wort zu sprechen. Am deutlichsten wird dies an seiner Auffassung der ersten drei Strophen, in welchen er die übliche Sprachauffassung als Ausdruck beschrieben sieht: "Hier Wunder und Träume, dort die greifenden Namen, beides verschmolzen - ergab die Dichtung." (UzS, S. 171). An anderer Stelle heißt es[88]:
Sein Land ist das Land als der gesicherte Bezirk seines Dichtens [...] Namen für solches, was dem Dichter aus der Ferne als Erstaunliches zugetragen wird, oder solches, was ihn im Traum besucht. Beides gilt dem Dichter in aller Sicherheit für das ihn wahrhaft Angehende, für das, was ist, welches Seiende er jedoch nicht für sich behalten sondern darstellen will. Dazu bedarf es der Namen.
Dagegen spricht allerdings einiges. Zum einen wird in den ersten drei Strophen der Name selber weder vom Dichter genannt noch erbeten, das lyrische Ich harrt lediglich aus und wartet darauf, daß die Norne den Namen findet. Es scheint so als ob das, was der Dichter an seines Landes Saum bringt, der Norne bereits bekannt sein muß, denn sie findet schließlich den Namen, gewinnt ihn also durch einen Vergleich. Es ist die Norne, welche eine Verbindung zwischen Ding, bzw. Erlebnis und Namen herstellt, diese erschöpft sich jedoch keineswegs in einer einfachen Bezeichnung von Dingen mit Namen. Entgegen Heideggers Behauptung läßt George die ersten drei Strophen in einer Zweideutigkeit oszillieren. Die erste Strophe lautet: "Wunder von ferne oder traum / Bracht ich an meines landes saum". George gestaltet den Satz als Hyperbaton und zeigt diese Mehrschichtigkeit so auch syntaktisch an. Formt man die erste Strophe in die übliche Satzstellung um, dann wird ganz offensichtlich, wie paradox sie ist. Schließlich muß doch jeder, der etwas an Land bringt, wissen, um was es sich da handelt: "Ich brachte wunder von ferne oder traum an meines landes saum." Man wird durch die lyrische Struktur dazu angeleitet, die erste Zeile als Frage zu lesen und ihre Mehrdeutigkeit zu akzeptieren, bevor man erfährt, daß es sich um eine Erfahrung handelt. Ziel dieser Strophe ist es, eine Vermittlung und Ineinssetzung von zwei völlig unterschiedlichen Ebenen zu erzeugen und zu erhalten. Daß diese Vermittlung so leicht gelingt, daran hat der einfache Reim einen guten Anteil. Sie ist bereits gelungen, bevor man sich dessen überhaupt bewußt wird. Auch die dritte Strophe verzichtet darauf, ein Ding mit einem Namen zu bezeichnen. In ihr wird schließlich nur das Erlebnis beschrieben, außerdem sind die Eigenschaften des Dinges nochmals widersprüchlich. Blühen ist organisch, während man Glänzendes mit metallischen, reflektierenden, auf jeden Fall aber künstlichen Attributen verbindet[89].
Heidegger betont den Wechsel vom Imperfekt zum Präsens in Zeile sechs zu recht, sieht in ihm aber den Ausdruck einer Selbstsicherheit: "Kein Mangel, kein Zweifel stört die Selbstsicherheit des Dichters" (UzS, S. 226). Heidegger tut so, als ob sich diese Selbstsicherheit aus einem vorherigen Wagnis ergibt, das trifft aber nicht zu. Heideggers Interpretation würde dann stimmen, wenn George von dem Namen des Kleinods auch Gebrauch gemacht, es also bezeichnet hätte. Vielmehr zeugt die sechste Zeile von einer Gelungenheit, die darin besteht, daß sich der Dichter mit der Zweideutigkeit abfindet. Er übt bereits Verzicht, ohne daß er weiß, warum er ihn übt. Er sagt nirgendwo, ob es sich um ein Wunder oder um einen Traum handelt. Erst das Ergebnis legt ihm nahe, daß er mehr wagen kann. Dafür würde auch der gedämpfte Klang der ersten beiden Strophen sprechen. Diese Deutung hat außerdem den Vorteil, daß sie beide Sätze im Präsens als Regeln lesen kann und keine dieser Regeln im Verlauf des Gedichts für ungültig erklären muß.
Die zweite Triade ist nun aber keineswegs die Erfahrung des Scheiterns dieser ersten Position, wie Heidegger denkt. In ihr drückt sich die Ungeduld aus, welche sich bereits in dem Ausharren des Dichters vor dem Brunnen ankündigt. Der Dichter möchte, daß alles schneller und eindeutiger vor sich geht. Erst jetzt ist er selbstsicher, weshalb er intoniert: "Einst langt ich an nach guter fahrt" (Zeile 7). Und erst jetzt wirft er Erlebnis ("reich und zart") und Bezeichung ("kleinod") in eins. Er glaubt, daß er die Norne nicht mehr braucht, doch das ist ein Trugschluß. Die Norne meldet sich diesmal sogar selber zu Wort und weist ihn zurecht. Jetzt hat er zwar Gewißheit, daß er die Norne braucht, also die frühere Auffassung richtig war, jedoch entrinnt ihm das Kleinod für das eine Mal, deshalb ist er traurig. So hat er erneut etwas Bleibendes, eine Art Regel erhalten. Er weiß nun, daß er beim Dichten immer auf Eindeutigkeit und Benennung verzichten muß, daß die Worte 'Gebrechen' bekommen, wenn man sie konkret benutzt. George gestaltet diese Regel sprachlich überaus spielerisch, denn mit dem Zerbrechen des Kleinods lernt er, daß "Kein ding sei wo das wort gebricht" Die bildhaft-lyrische Erfahrung geht in die sachlich-philosophische Erfahrung des Wortes über. Der Titel ist demnach als Wink gemeint, die Worte nicht als Benennung, d.h. eindeutig zu gebrauchen, sondern sie lyrisch zu sprechen. Dieses lyrische Sprechen wird von der Norne moderiert, sie symbolisiert eine Art Sprachgefühl, das sich nicht erklären läßt. Sobald sie merkt, daß der Ausdruck nicht lyrisch ist, verwirft sie das Ergebnis.
Gegen Heidegger spricht auch, daß George, obwohl indirekt redend, in der Subjekt-Prädikat-Struktur verbleibt und dem Ding das Sein immer noch zuspricht. Und so ist es kein Zufall, daß sich der Denker Heidegger selber als Dichter betätigt und die letzte Zeile umformt: "Ein <<ist>> ergibt sich, wo das Wort zerbricht." (UzS, S. 216). Auf die Variante, daß das "sei" auch als Konjunktiv gemeint sein könnte, geht Heidegger nicht ein. Ihr Sinn wäre dann: Kein Ding ist möglich, wo das Wort gebricht. Ohne Sprache ließe sich nicht über die Möglichkeit von Dingen reden. Das wäre durchaus eine Denkalternative.
Auch die Tatsache, daß George im gesamten "neuen Reich" das Motiv des Meeres verwendet und es mit dem Land in Beziehung setzt, bleibt vom Philosophen unberücksichtigt. Die Idee Heideggers, daß es George nur um eine Wandlung des Sagens geht, läßt sich demnach nicht aufrechterhalten. Er verfolgt durchaus noch inhaltliche Zwecke.
Das Georgesche Vorhaben ist auch, eine Verbindung zwischen der Traumwirklichkeit und der Wirklichkeit aufzutun. Für den Träumer sind es die "Wunder von ferne", was außerhalb nur als Traum erscheint. Die erste Zeile beschreibt also verschiedene Momente auf ein Erlebnis. Dieses Unterfangen kann nur im Lyrischen gelingen, weil nur dort die zwei Ebenen so unbeschwert durch den Reim nebeneinanderlaufen können. George weiß, daß er weder seine Erlebnisse ohne Verluste schildern noch die Sprache selbst zum Erlebnis steigern kann. Und eben hierfür benötigt er die strenge Form, welche diese Kluft für Augenblicke überbrückt. Diese Stilistik ist für George-Gedichte typisch, sie ließe sich anhand von etlichen Stellen nachweisen. In den Blättern für die Kunst geht der Kreis sogar explizit auf diese Funktion ein[90]: "In den höchsten regionen der kunst aber verschwinden auch diese unterschiede · und es bedeutet etwa dasselbe wenn wir sagen: traumbilder die bezaubern wie wirklichkeiten oder wirklichkeiten die bezaubern wie traumbilder."
Man wird an eine Strophe aus dem 'siebenten Ring' erinnert, welche eine ähnliche Problematik anspricht. Wiederum ist das Umfeld der Motive sehr ähnlich[91]:
Für heute lass uns nur von sternendingen reden! Ich möchte jauchzen · doch ich bin vom wunder bleich: Der weisheit schüler löst das rätselwort der veden Und bricht des blinden nacht mit einem fingerstreich· Mit unbewusster würde trägt ein kind vom eden Das kleinod köstlicher als manches königreich.
Das Kind, hier idealisiert und in den Bereich des Heiligen gehoben ("kind vom eden"), hat die Fähigkeit, das Kleinod so würdevoll zu tragen wie ein Königreich. Doch es selbst weiß nichts davon, ihm selber ist dies unbewußt. Nur der Erwachsene erkennt die Würde, welche in dieser kleinen Geste liegt. Er denkt, daß nur das Kind es ist, welches das Kleinod so würdevoll tragen kann und kommt so nicht dazu, sein eigenes Staunen zu bemerken. Denn gerade in diesem Staunen, welches durch das "doch" nochmals gesteigert wird, bekundet sich ebenso ein Rest von einem Kindsein[92]. Auch hier bleibt das Rätselwort ungenannt. George bewegt sich wie hier auch im Gedicht 'Das Wort' in einer Art Zwischenreich. Er bringt zwar etwas an sein Land, darf aber selber nicht entscheiden, ob es ein Traum oder ein Wunder ist. Dies würde bedeuten, daß ein traumhaft-schwebendes Moment verlorenginge.
Heidegger übersieht diese zwei Ebenen und den Wunsch der Vermittlung. Selbst die Tatsache, daß die Norne nicht sagt 'so liegt hier nichts auf tiefem grund', sondern: "<So schläft hier nichts auf tiefem grund>" nivelliert Heidegger, indem er sie einfach in seine Narration einbaut[93]:"Ein solches Wort, das dieses einfach auf der Hand liegende Kleinod sein ließe, was es ist, ein solches Wort müßte der Geborgenheit entquillen, die in der Stille eines tiefen Schlafes ruht." Wenn die Norne aber vom lyrischen Ich so abhängig ist, daß sich das Traummoment in ihrem Brunnen auswirkt, dann behält sie auch nicht mehr die Obhand. Dann funktioniert Heideggers Gleichsetzung Norne mit Sage nicht mehr.
Festzuhalten ist hier noch, daß es George eher um die Bewahrung seiner idealisierten und symbolisch verklärten Erlebnisse geht als um die Darstellung im Dichterischen. Das Ergebnis der ersten drei Strophen ist auf die "mark", daher ein eingegrenztes Stück Land, beschränkt. Es dürfte wohl eindeutig das Land des Ichs gemeint sein. Auch das Kleinod soll weder der Norne noch jemand anderem zum Geschenk gereicht werden, sondern es sollte Besitz des eigenen Landes werden (Zeile 12: "Und nie mein land den schatz gewann..."). Deshalb spricht aus dem Georgeschen Gedicht wohl kaum eine tiefe Erfahrung mit der Sprache an sich, sondern eher eine Erfahrung des Dichters mit seiner eigenen Sprache, insofern sie zur hermetischen Darstellung des Ichs taugt und es künstlerisch aus seiner Endlichkeit rettet. George vergißt wie in den meisten seiner Gedichten die Kommunikation, was allerdings das gute Recht eines jeden Autoren ist. Sprache ist auch Mitteilung in dem Sinne, daß wir etwas mit anderen Menschen bewußt teilen. Die einzige fremde Person in Georges Gedicht ist allerdings die Norne, sie ist aber als Schicksalsgöttin nur für ihn bestimmt und es ist sowieso besser, wenn sie ihm nichts mitteilt und sich im Unauffälligen hält. Heideggers Vermittlung zwischen Dichter und Denker krankt aber gerade an der Sprachauffassung des Dichters, er vergißt wie George den anderen. Alle Wörter stammen nicht aus der Sage, sondern von den Mitmenschen. Heidegger sitzt der Georgeschen Selbststilisierung auf, welche es erst durch strengste soziale Riten und bewußte Abschottung von der Gesellschaft vermochte, das Leben der Dichtung zu beugen[94].
Es gibt etliche Berührungspunkte zwischen George und Heidegger, doch so groß, daß der Denker dem Dichter nur nachsprechen muß, um eine Philosophie zu begründen, sind sie nicht. Die wichtigste Parallele liegt da wohl in der Sensibilisierung für die Sprache, um die es beiden geht. Daß George nicht primär schrieb, um im traditionellen Sinne etwas auszudrücken, sondern er in der Sprache lebte und Erfahrungen in ihr machte, scheint mir die wichtigste Erkenntnis. George selbst äußerte sich dazu[95]:
Dass Dichtung nicht Erlebnisausdruck ist, sondern Spracherlebnis. <<Goethe hatte ganz recht, das vom Erlebnis zu sagen. Ich hätte es auch getan. Wenn die Menschen so dumm sind, sollen sie's bleiben.>> Dass bei Hölderlin die Ursprünge liegen; aber man soll nicht darüber sprechen [...]
Die Stärken von Heideggers Essays über George liegen vor allem darin, daß er jedem einzelnen lyrischen Wort in solcher Genauigkeit nachspürt und so erst darauf aufmerksam macht, was es in einem Gedicht alles zu entdecken gibt. Die Schwächen seines Ansatzes sind aber offensichtlich. Seine Tendenz, die Lyrik als Argumentationsgrundlage zu mißbrauchen, vor allem aber sein Zwiespalt gegenüber der Wissenschaft, sind vielfach spürbar. Hornstein schreibt zu recht[96]: Sobald er sich nämlich, wie in den vielen etymologischen Exkursen, wissenschaftlich geförderter Ergebnisse bedient, unterstellt er sich auch der Entscheidbarkeit wissenschaftlicher Kriterien. Die Umgehung der Wissenschaft ist also nicht gelungen, Heidegger hat allerdings neue Perspektiven innerhalb ihrer eröffnet. Allerdings muß man sich manchmal fragen, wieviel Indirektheit eine Interpretation verträgt. So eröffnet Heideggers Interpretation mit ihrer Fülle von Anspielungen neue Möglichkeiten zum Weiterdenken, die zum Beispiel in dem Verhältnis der Georgeschen Sprache zum Tod liegen. Insofern also kann man sagen, hat er ihm entsprochen. Losgesprochen von Georges Gedicht hat er sich allerdings in den Momenten, in denen die Ableitungen im Raum stehen, ohne daß man genau prüfen kann, ob eine Verbindung zum Gedicht besteht. So ist Heideggers Text selber der beste Beweis dafür, wie vieles von unserer Sprache im Unausgesprochenen liegt.
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1 Heidegger (1997): Unterwegs zur Sprache, S. 33 (im folgenden Text nur noch als "UzS" abgekürzt).
2 George (1964): Das neue Reich, S. 134.
3 Der Sinn von Sein liegt nach Heidegger in der Zeitlichkeit des Daseins, also seiner Endlichkeit, Heidegger (1993): Sein und Zeit, S. 17: "Als der Sinn des Seins desjenigen Seienden, das wir Dasein nennen, wird die Zeitlichkeit aufgewiesen." ("Sein und Zeit" wird in Folge nur noch als "SuZ" abgekürzt).
4 Er schreibt in SuZ, S. 16: "Die Zugangs- und Auslegungsart muß vielmehr dergestalt gewählt sein, daß dieses Seiende sich an ihm selbst von ihm selbst her zeigen kann."5 SuZ, S. 12.
6 SuZ, S. 163.
7 SuZ, S. 164.
8 Für diese These spricht auch, daß alle von ihm untersuchten Dichter sehr von Hölderlin beeinflußt sind. Heidegger geht es also vor allem um einen bestimmten Typus von Dichter. Siehe dazu Böschenstein (1988): Im Zwiegespräch mit Hölderlin: George, Rilke, Trakl, Celan.
9 Heidegger (1994 ): Grundsätze des Denkens, IV. Vortrag, S. 139.
10 Dies ist bei George sehr ähnlich, George schreibt in Tage und Taten (1933), S. 85: "In der dichtung - wie in aller kunst-betätigung ist jeder der noch von der sucht ergriffen ist etwas >sagen< etwas >wirken< zu wollen nicht einmal wert in den vorhof der kunst einzutreten."
11 UzS, S. 70.
12 Landmann (1965): Der George-Kreis, S. 103.
13 In der Trakl-Interpretation heißt es, UzS, S. 17: "Das Gedicht hat Georg Trakl gedichtet. Daß er der Dichter ist, bleibt unwichtig; hier, wie bei jedem anderen großgeglückten Fall eines Gedichtes. Das Großgeglückte besteht sogar darin, daß es Person und Namen des Dichters verleugnen kann."
14 Heidegger (1995): Der Ursprung des Kunstwerkes, S. 67-68.
15 Pöggeler (1963): Denkweg, S. 268.
16 UzS, S. 196.
17 UzS, S. 237.
18 Landmann (1963): Gespräche mit Stefan George, S. 75.
19 UzS, S. 80.
20 Landmann (1964), S. 11 (Blätter zur Kunst, zweite Folge, zweites Heft 1894).
21 Salin (1948), S. 256.
22 Heidegger (1994): Bremer und Freiburger Vorträge, S. 9.
23 Der George-Kreis schreibt: ">dass nichts was der öffentlichkeit entgegenkommt auch nur den allergeringsten wert hat< und dass nur eines not tut: >ein weiterschreiten in andacht arbeit und stille<." [aus: Landmann (1964), S. 43 (Blätter für die Kunst, achte Folge 1909)]. Heidegger formuliert: "Die Bodenlosigkeit des Geredes versperrt ihm nicht den Eingang in die Öffentlichkeit, sondern begünstigt ihn." (SuZ, S. 169); "Abständigkeit, Durchschnittlichkeit, Einebnung konstituieren als Seinsweisen des Man das, was wir als >>die Öffentlichkeit<< kennen." (SuZ, S. 127)
24 Landmann (1964), S. 39 (Blätter für die Kunst, siebente Folge, 1904): "Wer auf gedanklichem und historischem weg sich den künsten nähert läuft gefahr das allerschlechteste wie das allerbeste gleichermassen als stoff (material) zu betrachten [...] So wird aus einer wissenschaft des lebendigen eine blutlose zifferkunde. So schwachsinnig ist nur unsere forschung geworden dass sie zum verständnis eines bauwerks die leben derjenigen auskundschaftet die die steine herbeitragen halfen." Bei Heidegger heißt es, SuZ, S. 396: "Am Ende ist das Aufkommen eines Problems des >>Historismus<< das deutlichste Anzeichen dafür, daß die Historie das Dasein seiner eigentlichen Geschichtlichkeit zu entfremden trachtet. Diese bedarf nicht notwendig der Historie. Unhistorische Zeitalter sind als solche nicht auch schon ungeschichtlich."
25 Heidegger und der George-Kreis gehen davon aus, daß sie einen besonderen Zugang zum griechischen Denken haben. Landmann (1964), S.25 (Blätter für die Kunst, vierte Folge, erstes und zweites Heft, 1897): "Dass ein strahl von Hellas auf uns fiel: dass unsere jugend jetzt das leben nicht mehr niedrig sondern glühend anzusehen beginnt: dass sie im leiblichen und geistigen nach schönen maassen sucht: dass sie von der schwärmerei für seichte allgemeine bildung und beglückung sich ebenso gelöst hat als von verjährter lanzknechtischer barbarei [...] dass sie schliesslich auch ihr volkstum gross und nicht im beschränkten ssinne eines stammes auffasst: darin finde man den umschwung des deutschen wesens bei der jahrhundertwende." Bei Heidegger heißt es, Suz, S. 22: "Diese Aufgabe verstehen wir als die am Leitfaden der Seinsfrage sich vollziehende Destruktion des überlieferten Bestandes der antiken Ontologie auf die ursprünglichen Erfahrungen, in denen die ersten und fortan leitenden Bestimmungen des Seins gewonnen wurden." An anderer Stelle heißt es, UzS, S. 134: "Unserem heutigen Denken ist es aufgegeben, das griechisch Gedachte noch griechischer zu denken."
26 UzS, S. 162.
27 UzS, S. 224: "Hier spricht der Dichter von seinem Land."; UzS, S. 183: "Wir dürfen aber daran denken, daß <<Kleinod>> nach der alten Bedeutung heißt: ein zierliches Geschenk, das dem Gast zugedacht wird; oder auch ein Geschenk als Zeichen besonderer Gunst, das der Beschenkte fortan bei sich trägt. Kleinod - gehört in die Bezüge von Gunst und Gast."
28 UzS, 90.
29 UzS, S. 179.
30 UzS, S. 167: "[...] weil wir darauf achten müssen, daß die Schwingung des dichterischen Sagens nicht auf die starre Schiene einer eindeutigen Aussage gezwungen und so zerstört werde."
31 UzS, S. 159.
32 UzS, S. 161: "In Erfahrungen, die wir mit der Sprache machen, bringt sich die Sprache selbst zur Sprache. Man könnte meinen, das geschähe doch jederzeit in jedem Sprechen. Allein, wann immer und wie immer wir eine Sprache sprechen, die Sprache selber kommt dabei gerade nie zum Wort. Zur Sprache kommt im Sprechen vielerlei, vor allem das, was wir besprechen: ein Tatbestand, eine Begebenheit, eine Frage, ein Anliegen."
33 UzS, S. 160: "Daher könnte es förderlich sein, wenn wir uns abgewöhnen, immer nur das zu hören, was wir schon verstehen."
34 UzS, S. 114: "Dies verlangt die Sache, wenn anders das Wesen der Sprache nichts sprachliches sein kann."
35 UzS, S. 16.
36 UzS, S. 209.
37 UzS, S. 161-162.
38 Schon hier wird deutlich, wie sehr Heidegger versucht, mit Hilfe von aktiven ("was uns angeht"), sogar bedrohenden ("bedrängt oder befeuert") und malerischen Ausdrücken ("geeignete Wort schenkt") den damaligen Zuhörer zu bannen. Diese Sprachgewalt läßt allerdings schnell darüber hinwegsehen, wie sensibel doch die Kerngedanken Heideggers sind.
39 Gadamer erläutert dieses Prinzip folgendermaßen: "Das Wort ist nicht Weltelement, wie Farben oder Formen es sind, die zu neuer Ordnung gefügt werden. Jedes Wort ist vielmehr selber schon Element einer neuen Ordnung und daher potentiell diese Ordnung selbst und ganz. Wo ein Wort erklingt, ist eine ganze Sprache aufgerufen und alles, was sie zu sagen vermag - und sie weiß alles zu sagen. So kommt im >sagenderen< Wort nicht so sehr ein einzelnes Sinnelement der Welt hervor, als vielmehr die durch Sprache erstellte Gegenwärtigkeit des Ganzen." (Gadamer: Von der Wahrheit des Wortes, S. 57)
40 UzS, S. 163.
41 UzS, S. 165: "Etwas ist nur, wo das geeignete und also zuständige Wort etwas als seiend nennt und so das jeweilige Seiende als ein solches stiftet. Heißt dies zugleich: Sein gibt es nur, wo das geeignete Wort spricht? Woher nimmt das Wort dafür seine Eignung?"
42 UzS, S. 166.
43 UzS, S. 167.
44 UzS, S. 168.
45 UzS, S. 168.
46 UzS, S. 169.
47 UzS, S. 235-236: "Mit dem heimlichen Hauch der jüngst vergangenen Schwermut weht die Trauer durch den Verzicht selbst; denn sie gehört zu ihm, falls wir diesen Verzicht aus seinem eigensten Gewicht denken. Das ist das Sich-nicht-versagen dem Geheimnis des Wortes, dem, daß es die Bedingnis des Dinges ist."48 UzS, S. 235.
49 Kraft führt noch ein weiteres Argument an, welches an Heideggers Auslegung zweifeln läßt: "Diese an sich schöne Erklärung spielt über den Dichter hinweg, der 'traurig' ist, weil er den 'Verzicht' gelernt hat, in einem Fall, in einem großen Fall", in: Kraft (1980): George, S. 281.
50 UzS, S. 223-224.
51 UzS, S. 170.
52 UzS, S. 171.
53 UzS, S. 172.
54 UzS, S. 170.
55 UzS, S. 171: "Hier Wunder und Träume, dort die greifenden Namen, beides verschmolzen - ergab die Dichtung"
56 UzS, S. 192.
57 UzS, S. 193.
58 UzS, S. 191.
59 siehe dazu auch UzS, S. 253-254.
60 Er macht lediglich Mut zum Weiterdenken, UzS, S. 208: "Die Schritte bilden nicht, höchstens im äußeren Anschein, eine Abfolge im Nacheinander von diesem zu jenem. Die Schritte fügen sich vielmehr in eine Versammlung auf das Selbe und spielen in dieses zurück."
61 "Nornen", in: Kluge (1995): Etymologisches Wörterbuch, S. 591.
62 Sturluson (1984): Gylfaginning, S. 235-236: "Dort unter der Esche bei der Quelle steht eine schöne Halle, und aus diesem gebäude kommen drei Mädchen, die Urdr, Verdandi, Skulld heißen; diese Mädchen entscheiden über das Leben des Menschen; wir nennen sie Nornen [...]"
63 In der Erläuterung zu Sturlusons Text heißt es: "Sowohl Werdandi als auch Skulld werden als junge Erscheinungen gedeutet; ursprünglich habe es nur eine Norne- Urdr - gegeben [...]" [Sturluson (1984): Gylfaginning, S. 254]
64 Sturluson (1984): Gylfaginning, S. 249.
65 Sturluson (1984): Gylfaginning, S. 238. Dazu auch: "Nornen", Hoops (1915-1916): Reallexikon, S. 341-342.
66 UzS, S. 210: "Also hat die Nähe ihr Wesen außerhalb und unabhängig von Raum und Zeit. Dies zu meinen, wäre jedoch übereilt. Wir dürfen nur sagen: Die in der Nachbarschaft waltende Nähe beruhrt nicht auf Raum und Zeit, insofern diese als Parameter erscheinen."67 So zumindest könnte man Heideggers Aussage interpretieren, UzS, S. 215: "Das Wesensverhältnis zwischen Tod und Sprache blitzt auf, ist aber noch ungedacht. [...] Gesetzt, das Bewegende, das die vier Weltgegenden in der einigen Nähe ihres Gegen-einander-über hält, beruhe in der Sage, dann vergibt auch erst die Sage jenes, was wir mit dem winzigen Wort >>ist<< nennen und so ihr nachsagen."68 UzS, S. 182.
69 Heideggers Ansatz ist mit Nietzsches Ästhetik verwandt, welcher die Lyrik letztlich auf die musikalische Form zurückführt, er schreibt in der "Geburt der Tragödie": "Diese ganze Erörterung hält daran fest, dass die Lyrik eben so abhängig ist vom Geiste der Musik als die Musik selbst, in ihrer völligen Unumschänktheit, das Bild und den Begriff nicht braucht, sondern ihn nur neben sich erträgt. Die Dichtung des Lyrikers kann nichts aussagen, was nicht in der ungeheuersten Allgemeinheit und Allgültigkeit bereits in der Musik lag, die ihn zur Bilderrede nötigte." (Aus: Nietzsche (1988): Geburt der Tragödie, S. 51.).
70 UzS, S: 194.
71 UzS, S. 231.
72 George schreibt in den Sängen eines fahrenden Spielmanns: "Worte trügen- worte fliehen·Nur das lied ergreift die seele·Wenn ich dennoch dich verfehle Sei mein mangel mir verziehen. Lass mich wie das kind der wiesen Wie das kind der dörfer singen·Aus den sälen will ich dringen Aus dem fabelreich der riesen." (Aus: George (1991): Bücher der Hirten, S. 68) In diesem Gedicht hüpft die Melodie nahezu, es ist so voll von Reimen, Binnenreimen und wechselnden Vokalen, so daß es seinen Volksliedcharakter fast schon parodiert. George arbeitet damit den sprachlichen Charakter des Liedes erst heraus, er läßt ihn erst durch diese Überanstrengung erfahren. Ähnliches geschieht in dem Gedicht "Die Becher" (George (1964): Das neue Reich, S. 135), welches den Reim so durch mittelhochdeutsche und althochdeutsche Wörter erzwingt, daß er als solcher erst zutage tritt und wir auf die Geschichtlichkeit unserer Sprache gestoßen werden.
73 George (1964): Das neue Reich, S. 126-127.
74 UzS, S. 228.
75 UzS, S. 231.
76 So zum Beispiel in "Das Lied", Strophe 9: "Nur Kinder horchten seinem lied / Und sassen oft zur seit.. / Sie sangen's als er lang schon tot / Bis in die spätste zeit.", in: George (1964): Das neue Reich, S. 126-127.
77 UzS, S.205.
78 So zum Beispiel im Maximin-Gedicht "Das Fünfte: Erhebung", wo er von einem "glinstern" spricht (George (1986): Der siebente Ring, S. 103 und Kommentar auf S. 217) 79 Klussmann: Das Wort (1957), S. 289. 80 Klussmann: Das Wort (1957), S. 291.
81 Kraft (1963): Stefan George, S. 281.
82 Kraft (1963): Stefan George, S. 279: "Es ist kein Lied, weil es handlungsmäßig einen positiven und einen negativen Vorgang von je drei Reimpaaren und einer Zusammenfassung des Ganzen in einem Reimpaar am Ende den inneren und äußeren Aufbau eines Sonetts hat [...]"83 Klussmann: Das Wort (1957), S. 286: "Liedhaft wird man diese Verse allerdings kaum nennen dürfen. Erst recht nicht, wenn man die ungewöhnliche Prägnanz der Formulierung in Betracht zieht und die drängende Dichte der Bildfolgen, die zielsicher auf die gedankliche Spitze des Schlußverses zustreben. Folgen wir den Kategorien, mit denen Günther Müller im Bereich der Lyrik die unterschiedlichen Grundformen voneinander abgrenzt, dann zeigt ganz besonders der letzte Verse, daß wir Georges Gedicht eher als Spruch zu bestimmen hätten, nicht in dem Sinne freilich, der ihn an die äußerste Grenze der Lyrik verweist, sondern so, daß er mit ihrer liedhaften Kernzone in ständig kommunizierender Verbindung bleibt."84 Kommerell, S. 400-401.
85 Kommerell, S. 396.
86 Petrow (1995) schreibt, S. 65: "Doch selbst wenn man es für möglich hält, daß George einen Moment lang Hoffnungen in das neue Regime gesetzt haben könnte, entscheidend ist, daß er davon abrückte." Diese Haltung wird noch dadurch unterstrichen, daß es "intensive Bemühungen gegeben" hatte, "George zum Eintritt in die Akademie [gemeint ist die Preußische Akademie der Künste, Anm. von A. B.] zu bewegen" (Petrow, S. 68). 87 Im neuen Reich widmet George zum Beispiel ein Gedicht einem "jungen führer im ersten weltkrieg" (George (1964): Das neue Reich, S. 41.
88 UzS, S. 225.
89 Heidegger übergeht diese Widersprüchlichkeit vollkommen. Auf die Verbindung "kleinod reich und zart" geht er allerdings ein. Aber auch hier sieht er keinen Gegensatz (reich könnte man auch als mächtig übersetzen), sondern leitet sie aus der Sprachgeschichte her, UzS, S. 236: "Reich heißt: vermögend zum Gewähren, vermögend im Reichen, vermögend im Erreichen- und Gelangenlassen. [...] Zart heißt nach dem alten Zeitwort zarton das Selbe wie: vertraut, erfreuend, schonend. [...] Das kleinod reich und zart ist das verborgene Wesen (verbal) des Wortes, das sagend unsichtbar und schon im Ungesprochenen das Ding als Ding und erreicht."
90 Landmann (1964), S. 39 (Blätter für die Kunst VII (1904)).
91 George (1986): Der siebente Ring, S. 68.
92 Siehe dazu auch das Gedicht "Mein kind kam heim.", in: George (1986): Der siebente Ring, S. 143.
93 UzS, S. 172.
94 Braungart (1992): Ritual und Literatur, S. 22: "In der Geschichte der modernen Lyrik ist Stefan George wohl der Autor, der dem Ritual am stärksten verpflichtet ist. Bei keinem anderen Autor lassen sich die (sozial und ästhetisch) regulativen und gestaltenden Möglichkeiten des Rituals so eindringlich beobachten wie bei George."
95 Landmann (1963): Gespräche mit Stefan George, S. 87.
96 Hornstein (1955): Das Haus des Seins, S. 436.